München

Das Olympische Dorf

2. Mai 2022

Was für viele wie eine Betonwüste anmutet, nennen die Bewohner liebevoll einfach nur Dorf. Es bedeutet für sie Heimat, Nachbarschaft und noch viel mehr. Über 6.000 Menschen leben in dieser parkähnlichen, vom Voralpenland inspirierten Landschaft. Vorhanden ist alles, was das Herz begehrt und was man benötigt. Sogar eine eigene Homepage. Auf dem schwarzen Brett kann man hier zum Beispiel Garagen und Immobilien kaufen oder verkaufen, seinen eigenen Flohmarkt ankündigen und Informationen austauschen. Auch Fotos gibt es zu sehen und einen Überblick über alle Vereine, die im Olympiadorf aktiv sind – den Dorfsenioren Olympiadorf e.V. etwa oder den Kulturverein Olympiadorf e.V. Im Dorf ist viel los. Beinahe beschleicht einen das Gefühl, der olympische Spirit von damals erfülle noch immer die Gassen, Gebäude und Grünflächen.

Das Olympische Dorf war ein städtebauliches Experiment. Eine derartige „Stadt in der Stadt“ gab es zur damaligen Zeit noch nicht. Wegweisend war zudem die Idee, Sportstätten und Unterkünfte auch nach den Olympischen Spielen weiter zu nutzen. Das heute viel zitierte Thema Nachhaltigkeit wurde von Anfang an konsequent verfolgt. Leblose Hüllen hinterlassen oder neu Errichtetes einfach wieder abreißen? Ein Konzept, das für München nicht infrage kam. Nicht jeder zeigte sich allerdings von der aus Beton errichteten Hügelstadt begeistert. Von Brutalismus war anfänglich häufig die Rede. Inzwischen ist das Ensemble denkmalgeschützt, die anfangs nackten Balkone und Terrassen sind zu grünen Oasen geworden und das Olympische Dorf zählt zu den beliebtesten Wohngegenden der Stadt. Vieles ist hier auch richtig toll.

Im Olympiadorf fahren keine Autos und es gibt alles, was man zum Leben benötigt

Im Jahr 1972 wohnten die Sportler, ihre Betreuer und Journalisten im Olympischen Dorf. In den Hochhäusern und Bungalows, die damals die weiblichen Athletinnen beherbergten, leben bis heute Studenten aus aller Welt. Besonders die über 1.000 Minihäuser im ehemaligen Frauendorf sind heiß begehrt. Logisch, denn hier hat man sein eigenes Reich auf 18,8 Quadratmeter, einen eigenen Balkon und eine nette Nachbarschaft. Außerdem dürfen die Fassaden kreativ gestaltet werden. Ein Ausdruck europäischer Jugendkultur. Die Bungalows sind nicht mehr im Original. Im Jahr 2007 mussten die alten maroden Häuschen abgerissen werden, aber sie wurden im gleichen Stil neu aufgebaut. Den alten Charme mit der kunterbunten Bemalung haben die neuen Bungalows bis heute noch nicht ganz wieder erreicht. Aber die größte und älteste Tiny-House-Siedlung Deutschlands ist erhalten geblieben und steht mittlerweile unter Ensembleschutz. Auch das damalige Männerdorf verwandelte sich in ein großes Wohngebiet. Viele Familien schätzen die autofreie Anlage.

Autofrei. Ein gutes Stichwort. Ein Wort, das in der modernen Stadtplanung mehr und mehr Bedeutung gewinnt. In den 1970er-Jahren war es eher ein Fremdwort. Und doch wurde das Olympische Dorf bereits als autofreie Stadt konzipiert. Bis heute wird unterirdisch geparkt. Überirdisch gibt es alles, was das Herz begehrt und benötigt: Supermärkte, Bäckereien, Bioladen, Modeboutiquen, Geldautomaten, Kindergärten, Ärzte, Grundschule, Spielplätze, U-Bahn, ökumenisches Kirchenzentrum, kulturelle Einrichtungen, Freiflächen, Parkanlagen, die legendäre OlyDisco, Bierstube, Cafés. In elf Minuten ist man per U-Bahn am Marienplatz. Mit dem Fahrrad geht’s auch schnell. Verirren muss man sich nicht. Ein farbiges Rohrsystem, die sogenannten Media Lines, zieht sich durch das ganze Olympische Dorf und dient der Beleuchtung und der Orientierung. Blau steht für die Connollystraße, Gelb für den Helene-Mayer-Ring, Grün für die Nadistraße und Orange für die Straßbergerstraße. Neben zwei weiteren Gedenkarten erinnert eine Gedenktafel am Haus Conollystraße 31 an den Anschlag vom 5. September 1972.

Auch das Olympiadorf beteiligt sich rege am Jubiläum 50 Jahre Olympische Spiele 1972

Zum 50.sten Jubiläum der Olympischen Spiele ist auch im Dorf einiges geboten. Das Highlight ist die Festwoche vom 13. bis 22. Mai. Schauen Sie vorbei und erleben Sie Vorträge, Konzerte, Ausstellungen, Mitmachaktionen, Feiern im Festzelt und vieles mehr. Bewundern Sie die Plakate vom Designpapst Otto „Otl“ Aicher und ein langes Fotoband in den Schaufenstern der Ladenstraße. Genießen Sie Kulinarisches, Erzählungen von „Ureinwohnern“ und heitere Spiele für Groß und Klein am Tag der Nostalgie. Auch eine Modenschau mit Livemusik der 70er-Jahre wird es geben.

Wem eher nach einer geführten Tour ist: Am 24. Juli können Sie mit einer langjährigen Bewohnerin durchs Olympische Dorf spazieren und interessanten Geschichten lauschen. Die Plätze sind begrenzt, aber eventuell bekommen Sie hier noch die Möglichkeit zur Teilnahme. Mehr als das Olympische Dorf können Sie bei dieser Führung erleben. Und bis November zeigen Ihnen ausgebildete Gästeführer das Olympische Dorf bei einer Viertelliebe-Führung.

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